Maus, Maus, Katze

Nebeljunges kühle Augen schweiften beobachtend über das Lager. Sie musterte jedes Geschehen, jede Bewegung eine kurze Zeit. Doch nichts schien ihr Interesse zu wecken, sie zu berühren oder eine sonstige Emotion in ihrem ausdruckslosen Gesicht auszulösen. Es dauerte eine ganze Weile, bis eine bedachte, möglichst unauffällige Bewegung ihren frostblauen Blick auf sich zog. Die Gestalt, welche sich aus dem Lager schlich und versuchte jeder Aufmerksamkeit zu entgehen, kam ihr mehr als bekannt vor. Immerhin hatte sie ihn seit ihrer Geburt neben sich und war mit ihm aufgewachsen. Dieser recht große Körper mit dem flauschig abstehenden cremefarbenen Pelz konnte niemand anderem gehören, als ihrem Bruder Helljunges. Seine gräulichen Augen huschten hin und her, er zitterte fast vor Anspannung und Anstrengung, weil er sehr leise sein musste und noch unauffälliger, damit keiner der erwachsenen Katzen ihn bemerkte. Sein Ziel war klar, es aus dem Lager zu schaffen. Nebeljunges kniff die Augen zusammen. Zum ersten Mal nach langer, langer Zeit funkelte ein Hauch Verärgerung in ihnen. Wollte sich ihr Bruder schon wieder in Gefahr bringen, nur um Abenteuern nach zu jagen? Konnte er denn nicht den halben Mond, bis er zum Schüler ernannt wurde, noch warten? Genervt schnaubte sie und erhob sich von ihrem angenehm schattigen Plätzchen. Mit ausdruckslosem Gesicht und entspannter Körperhaltung folgte sie ihm. Die kleine Kätzin war bei ihrem Verschwinden deutlich unauffälliger als ihr Bruder. Sie wirkte einfach nicht verdächtig in ihrem Verhalten und benehmen, weil nichts sie zu berühren schien. Man ahnte nicht was in ihrem Köpfchen vorhing. Doch nun hatte sie sich entschieden den cremefarbenen Kater zurück zu holen, ohne den anderen Clanmitgliedern bescheid zu sagen, denn sie wollte nicht, dass ihr leichtsinniger Bruder erneut einer Standpauke lauschen musste und noch eine Strafe bekam, nur weil er etwas erleben wollte. Sie seufze erneut. Lieber würde sie ihn schnell zurück ins Lager zerren, ehe er in Schwierigkeiten geriet. Ihre kleinen blassen Pfoten huschten schnell über den unebenen Boden, nicht weit ließ sie das Lager hinter sich. Denn innerhalb kürzester Zeit hatte sie ihren Bruder eingeholt. Seine flauschigen Umrisse wurden in der Ferne sichtbar. Er spazierte so achtlos umher, wie es nur ein Junges konnte. Doch dann erstarre sie, als er nur noch wenige Sprünge entfernt war. Ein stechender Geruch kam aus einem Erdloch nur wenige Mauselängen entfernt von ihm. Nebeljunges wusste nicht was es war, aber der Geruch ließ eine uralte Panik, einen schrecklichen Instinkt in ihr erwachen. Sie rannte. „Helljunges!“ noch nie hatte ihre monotone, unberührte Stimme so schrill, voller Panik geklungen. Sie hörte sich an wie splitterndes Eis, unheilvoll und durchdringend. Nichtsahnend und zu beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken, drehte er sich lächelnd zu ihr um. „Nebeljunges, was machst du hier?“ fragte er verwundert, im gleichen Moment erschien eine flammende Gestalt im Erdloch. Groß, wild und hungrig. Intelligente Augen musterten die Kätzchen und es setzte sich in Bewegung. Auf ihren Bruder zu. Sie erreichte ihn, gleichzeitig mit dem fremden Wesen. Ungebremst prallte sie gegen seine größere Gestalt, doch es reichte aus um ihn umzuwerfen. „Idiot, pass auf!“ waren ihre letzten Worte. Ihre Stimme bebte und zitterte. Doch in ihren sonst leeren Augen stand eine beschützende Entschlossenheit. Die Zähne des Fuchses bohrten sich in ihren grazilen Hals und hoben sie vom Boden hoch. Ihr Blick lag gar liebevoll auf ihrem Bruder, bis diese Lichter endgültig erloschen und sie im Maul des Feindes erschlaffte. Leblos hing sie zwischen den Kräftigen Kiefern, ihr Blut tropfte auf den Boden. Was die nun nicht mehr mitbekam, war das eine Patrouille ihres Clans angerast kam. Ihre Mutter Honigherz hatte das Fehlen ihrer geliebten Jungen bemerkt und sofort Alarm geschlagen. Das hingegebene Leben Nebeljunges hatte gereicht, um das ihres Bruders zu retten. Ihre Ablenkung war grade lange genug für ihre Clankameraden, um beim Fuchs anzukommen, ihren Bruder zu beschützen und den Feind nun zu vertreiben. Es war vorbei. Für das kleine Silberkätzchen endgültig. Doch sie würde dort oben ebenso beschützend über ihre verbliebenen Geschwister wachen, stolz und friedvoll.